Bergsteigen in Südtirol

6.8. - 13.8.2000

1. Tag, Sonntag 6.8.2000 - Die (halbe) Anfahrt

Beim Aufstehen um ca. 07.00 regnete es in Strömen. Der Wetterbericht hatte also diesmal, wie meistens bei Schlechtwetter, Recht. Na gut, es konnte uns trotzdem nichts aufhalten und so starteten wir um 1030 das bereits am Vortag vollgepackte Auto und verfügten uns auf die Südautobahn mit Kurs Südtirol.

Bis zur Pack ging ja auch alles gut, aber auf der Steigung kurz vor der Raststelle vernahmen wir plötzlich ein seltsames Geräusch, das zuerst wie ein defekter Reifen (wir haben da ja schon Erfahrung, siehe unsere Reise nach Südengland 1998) klang. Eine Kontrolle der Reifen zeigte jedoch, dass scheinbar alles in Ordnung war und so beschlossen wir, den einbezahlten Mitgliedsbeitrag des ÖAMTC nicht ungenutzt zu lassen und riefen über die bereits auswendig gelernte Telefonnummer 120 unsere alten Freunde an. Nach ca. 10 Minuten rief mich der für in einer Stunde angekündigte Pannenfahrer zurück und ich schilderte ihm mein Problem, sowie die beim Einparken auf der Raststation Pack gemachte neue Festellung, dass es beim Einlenken auf den Parkplatz ein klingendes Geräusch unter dem Auto gegeben hat. Es ergab sich folgender, sagen wir mal gemischtsprachiger, Dialog:
"Werman lei vurn amol hochhebn, göll". "Genau, so moch ma des, waun sans do?" "In zwanzg Minuten". "Passt". Die Kontrolle der Räder beim hochgehobenen Fahrzeug ergab natürlich genau nix und so wollte der Pannenfahrer mit den Worten "Do miassat man auf a Hebebühne stölln und schaun wos do los is" schon entschwinden, was mich natürlich sofort zu der Frage bewog: "Hobt's ihr unten in Wolfsberg am Stützpunkt a Bühne?". "Freili". "No dann foa ma laungsaum obe ...".

Auch dort konnten wir leider nichts feststellen ausser einem meiner Meinung nach relativ großen Spiel in der Lagerung der Kardan(Gelenk)welle, welches aber gemäß der Meinung des Pannenfahrers normal sein sollte. Na, gut, wir beschlossen, am Montag die in Wolfsberg ansässige Ford-Werkstätte aufzusuchen und begaben uns zum (im ADAC Führer nicht erwähnten) Campingplatz ebenda. Da der Platz uns nicht gerade einlud, dort auch nur eine Nacht zu verbringen, entschieden wir, weiter in Richtung Klagenfurt vorzustoßen und stoppten schließlich am Turnersee in Kärten nach nur 331km. Natürlich hat es in Kärten geregnet, aber es war uns an diesem Tag genau wurscht.

2. Tag, Montag 7.8.2000 - Die Reparatur

Am Campingplatz erkundigten wir uns nach der größten Fordwerkstätte in Klagenfurt und wurden an die Firma Kaposi verwiesen. Dort angekommen, schilderte ich dem Werkstättenleiter das Problem und er war sofort bereit, mit uns eine Probefahrt zu machen, um das Geräusch mit seinen eigenen Ohren zu hören. Es kam wie es kommen musste, das verdammte Scheppern trat innerhalb von 15 Minuten original genau nicht auf. Bei der Abfahrt vom Campingplatz in der Früh war es noch laut und deutlich zu vernehmen und ich freute mich noch, dass es so wenigstens sofort reproduzierbar sei.
Immerhin hielt mich der Meister nicht für ganz unzurechnungsfähig und wir steuerten eine Hebebühne an, wo er persönlich unters Fahrzeug kroch und die Radlager sowie die Gelenkwelle inspizierte. Auch er versicherte mir, dass das Spiel im Lager der Kardanwelle normal sei, man aber auf Verdacht das Gelenk in der Welle schmieren könne, da dieses möglicherweise die Ursache sein könnte. Ich willigte sofort ein und ein Mechaniker machte sich an die Arbeit, schmierte das Lager mit der Fettpresse und kontrollierte noch den Ölstand im Differntialgetriebe ("Eh zvü drinn").
Währenddessen beobachtet Andrea einen Mechaniker, der die Radmuttern eines Fahrzeuges mit einem Drehmomentschlüssel festzieht. Unglaublich, es gibt also außer uns noch andere Profis! Nach einer abschließenden Probefahrt beschlossen wir, die Fahrt vorsichtig fortzusetzen und ich fragte nach der Rechnung. "Des passt scho, schönen Urlaub noch". Na bitte, Ford - die tun was. Herzlichen Dank an den Werkstättenleiter, Herrn Grabher, bei dem ich ab sofort mein Auto zum Service stellen würde, wenn ich in der Nähe von Klagenfurt beheimatet wäre...

Nach (geräuschloser) Fahrt durchs Pustertal und einer kleinen Sondereinlage (Abzweigung verpasst) über St. Virgil (entrisch!) kamen wir um 16.30 in Colfosco an. Der Campingplatz am Fuße der Sellagruppe bietet ein einmaliges Bergpanorama und nach einer improvisierten Antennenmontage und einer eineinhalbstündigen Funkverbindung mit der Heimat (OE3ACS, OE1MHA) schliefen wir erschöpft ein.
325km, genügt eh.


Das Panorama des Campingplatzes

3. Tag, Dienstag 8.8.2000 - Der Gipfelsturm

 Der erste Austritt um 0700 bot zwar einen supertollen Ausblick, der Blick auf's Außenthermometer bestätigte jedoch das unleugbare Gefühl der Kälte. 2 Grad (In Worten: Zwei!) waren nicht gerade viel. Naja, der Trumatic 1800 Gasheizung sei Dank, im Auto war es angenehm warm.

Nun stand die erste Bergwanderung an. Zum Aufwärmen wurde beschlossen, die "Große Cirspitze (2592m)" vom Grödnerjoch, das nur wenige Kilometer (15, um genau zu sein) von unserem Platz entfernt ist, zu bezwingen. Vom Grödnerjoch (Passo Gardena, 2137m) führt ein einfacher Klettersteig auf den Gipfel, der nach ca. 1 1/4 stündigem Anstieg einen herrlichen Ausblick in die Sellagruppe und natürlich hinunter zum Grödnerjoch bot. Gemeinsam mit vielen anderen Gipfelstürmern und Ausrüstungsweltmeistern teilten wir uns den spärlich vorhandenen Platz rund um's Gipfelkreuz, machten die unvermeidlichen Fotos und stiegen in nur 45 Minuten wieder ab zum Auto, wo ein herrlich kühles Bier (außen mit Kondenswasser beschlagen!) zur Vernichtung anstand.


Blick von der Cirspitze auf die Sella


Im Klettersteig: Blick zur Geislergruppe


Im Klettersteig: Blick zum Langkofel


Blick in das Chedul-Tal


Am Gipfel

Danach wurde im Supermarkt Versorgung gebunkert und im Freien, mit Blick auf den Gipfel den wir heute bezwungen hatten, das Abendessen vorbereitet:

Zwei Zwiebel und zwei Zehen Knoblauch mit Speck in Olivenöl anschwitzen. Klein geschnittene Paprika dazugeben und andünsten. Nach zehn Minuten geschnittene Paradeiser mitdünsten. Salzen, pfeffern, mit Thymian, Rosmarin und Basilikum würzen und zugedeckt weitere zehn Minuten köcheln lassen. Mit bissfest gekochten Spaghetti servieren und mit Rotwein runterspülen. Das Leben ist hart, ehrlich.

4. Tag, Mittwoch 9.8.2000 - Der Dreitausender oder "Auffi muaß i"

Der Wetterprüfblick zeigte uns, was wir nach dem in der Nacht niedergegangenen Gewitter erwartet haben: Es schaut nicht so toll aus, das kann sich aber geben, schätzen wir halt mal. Um 1000 laufen wir aus dem Campingplatz aus, um doch die geplante Tour anzupacken.
Wir hatten vor, vom Passo di Campolongo (1875m) mit dem Sessellift zum Rif. Kostiner a Vallon zu fahren und von dort über den Vallonklettersteig auf den Piz Boé zu marschieren. Da der Sessellift aber nicht in Betrieb war und das Wetter nur mittelmäßig aussah, beschlossen wir, auf's Pordoijoch (2242m) zu fahren und von dort mit der Seilbahn auf die Pordoi Spitze (2848m) zu gondeln. Von der Bergstation marschierten wir dann doch noch auf den Piz Boé (3152m), um so unseren ersten Dreitausender in diesem Urlaub zu versenken. Trotz des nur mittelmäßigen Wetters boten sich zwischen den Nebelschwaden wunderbare Ausblicke auf die fantastische Umgebung.

 

Die 8MB Smartmedia der Digitalkamera waren im Nu gefüllt. Gut, dass wir diesmal den Laptop gleich mit dabei hatten, so kann erstens die Kamera täglich "erleichtert" werden und zweitens entsteht dieser Reisebericht sozusagen online, d.h., die wiedergegebenen Erinnerungen sind absolut frisch und unverfälscht ... (Darum die lange Schwaflerei, aber es muss ja keiner lesen)

Nach der ca. 3 Stunden dauernden Wanderung stärkten wir uns erstmals im Campingbus mit "café con grappa" und bezwangen dann noch das Sellajoch und das Grödnerjoch.


Sellajoch


Grödnerjoch mit Cirspitzen

Beim Kochen des Abendessens (Geschnetzeltes mit Erbsenreis) setzte ein herber Wolkenbruch ein, den wir aber ohne Probleme "abwetterten". Die Campingkollegen in den Zelten sahen das wahrscheinlich nicht so enspannt, aber das ist nun mal so.

Beim abendlichen qso (=Funkverbindung) mit der Heimat klopfte plötzlich jemand an unserer Fensterscheibe und mein erster Gedanke war, dass da möglicherweise irgendwer einen "leicht" gestörten Rundfunkempfang hat und nun vielleicht mit Sense und Dreschflegel bewaffnet vor unserem Auto steht. Wahr war vielmehr, dass es sich um einen italienischen Amateurfunker handelte (Giovanni - IK4PMX), der mit dem messerscharfen Blick eines Kurzwellenamteurs meine Dipolantenne erkannt hatte und natürlich sofort auf ein "Augen-qso" vorbeikam. Nach ausgiebiger Plauderei bekam ich noch seine qsl-Karte ausgehändigt und ich ärgerte mich, dass ich noch immer keine meiner Karten im Auto mitführe, wo ich sie doch schon einige Male gebraucht hätte, da es auf unseren Reisen schon öfters vorkam, dass ich auf den Campingplätzen andere Amteurfunker getroffen habe.

So, genug für heute, liebes Tagebuch ;-) Wir planen jetzt die nächsten zwei Tage. Soviel sei verraten: Morgen gibt es keine Bergtour sondern nur Dieselverbrennung, für Freitag wird dann endlich eine Tour geplant, wo die mitgeführte Klettersteigausrüstung auch verwendet werden kann.

Gute Nacht.

5. Tag, Donnerstag 10.8.2000 - Bergkönige

Radio Österreich International begrüßt mich rauschfrei (oder doch nicht?) gegen 0730 mit den Worten "Guten Morgen, heute ist Mittwoch der 10.8.2000". Na servas, was rauchen denn die für ein Kraut in aller Herrgottsfrüh? Obwohl ich im Urlaub auch nur über ein sehr eingeschränktes Zeitgefühl verfüge, merke ich sogar zu solch früher Stund', dass da was nicht stimmt. Naja, die gespielte Musik ist nicht besser, aber das kennt man ja schon. Soll ich wieder mal eine email an die p.t. Programmmacher schicken? Letztes mal bekam ich ein "vorgestanztes" Antwortschreiben von wegen, wir werden Ihre Anregungen bei der Programmplanung berücksichtigen. Haha, bei der Musik glauben ja alle, in Österreich rennt jeder in der Krachledernen herum. Sei's drumm, die Empfangsqualität auf 6.155kHz ist gewohnt gut, wenigstens etwas.

Wir brechen unsere nicht vorhandenen Zelte in Colfosco ab und fahren eine kleine Runde:
Das Würzjoch (2002m) von Osten nach Westen, hinunter nach Chiusa (Klausen), dort ein kurzes Stück Autobahn bis Bozen und direkt hinein ins Eggental. Die Einfahrt in dieses Tal ist erstens (für unser Fahrzeug) extrem steil und bietet darüberhinaus überwältigende, enge Durchfahrten durch rote Felsen. Schwer genial!
Weiter geht's hinauf zum Karersee, bei dessen Parkplatz man sich nicht erdreistet, für genau Null gebotene Leistung eine dubiose Gebühr zu erheben. Nix da, wir fahren weiter und halten (kein Halte- und Parkverbot, sowie auch gerade keine engen Kurven oder Bergkuppen in Sicht) auf der Fahrbahn und Andrea marschiert zurück zum - winzig kleinen - See, um das obligate Foto zu machen. Der Karerpass, mit 1745m für Südtiroler Begriffe eigentlich nur ein Hügerl, wird, vorbei am Rosengarten, im Handstreich genommen und hinunter geht's nach Vigo di Fassa.


Eggental


Karersee

Rechts ab zum Passo di Fedáia (2057m), wo wir um 1530 mit Blick auf die Marmolada unser verspätetes Mittagessen einnehmen (Mortadella con panini).


Staudamm am Fedáiapass


Marmolada vom Fedáiapass gesehen


Kurze Pause, um ins Sottoguda hinunter zu fotografieren und einen Bergkönig beim Anbremsen auf den am dortigen Parkplatz liegenden Schotterhaufen zu beobachten. Der Meisterbremser springt aus dem Auto, um einen Kübel mit Schotter vollzufüllen und im Kofferraum zu verstauen. Wahrscheinlich im Zivilberuf Straßenbahner. So foahrt er eh. Unzählige weitere Bergkönige behindern uns bei der Talfahrt, es ist unglaublich, was das Bremssystem eines Mercedes aushält. Zur Ehrenrettung der käseerzeugenden Flachländer aus dem Land des guten Tabakzusatzes sei gesagt, dass wir heute mehr mit Italienern, bevorzugt mit jenen, deren Kfz mit Kennzeichen aus der Präfixreihe "A" ausgerüstet sind, kämpfen, um sie beim bergab fahren nicht in den Luftfilter einzusaugen.

Bei der Abzweigung zum Falzárego muss ich einen vor mir fahrenden Spezialisten, der soeben Anzeichen macht auch nach links abzubiegen, im Zuge einer kleinen Verwaltungsübertretung bei einer Verkehrsinsel über die Fahrbahn, die eigentlich für den Gegenverkehr bestimmt ist, vollstrecken. Zweieinhalb Tonnen und 70PS ließen den Reisbombertreiber noch in der Nachdenkphase (jetzt Kupplung oder zuerst Bremsen, ah Blinken vielleicht zum Linksabbiegen?) erblassen. Palido di paura.


Sottoguda

 

Über den Falzárego (2105m) und den Passo di Valparola (2192m) fahren wir zum Campingplatz "Sas Dlacia", am Fuße der Cuturines Spitze (3064m). Diesen auf 1670m liegenden Platz hatten wir schon zu Pfingsten 1999 besucht. Damals waren wir mit unseren Freunden Eva und Andi fast alleine auf dem Platz, heute ist alles zum Bersten voll, wir suchen uns aus den vier angebotenen Stellflächen die am wenigsten schlechte aus. Dafür wird das, was meinen Urlaub immer schon zur Aufwertung gefehlt hat, angeboten: Kabelfernsehen auf jedem Platz. Gute Nacht, Camping. Naja, Hauptsaison ist halt nicht super, wir sollten wieder Ende August auf Urlaub gehen, da war es kein Problem, ordentliche Plätze mit wenig Gästen zu finden. Zumindest in der Schweiz war es letztes Jahr angenehm ruhig.

Wir sind, obwohl wir heute keine Bergtour unternommen haben, ziemlich erschöpft und enstpannen uns erst mal bei einem Manöverschluck. Ich lege mir Michelle Shocked ("Short, Sharp, Shocked") ein und genieße "The L&N Don't Stop Here Anymore" während ich beginne, meinen Bericht zu schreiben. Kurz vor Sonnenuntergang machen wir noch einen kleinen Spaziergang zum Flussbett neben dem Campingplatz, dass zu Pfingsten 1999 zumindest noch ein wenig Wasser führte. Heute, im Sommer, ist es komplett ausgetrocknet, man kann sich aber an Hand der Breite des Kiesbettes vorstellen, welche Wassermassen hier zur Schneeschmelze fließen müßen. So, es ist nun Zeit für den Heimatfunkdienst. Die Antenne haben wir nach dem Spaziergang aufgebaut, nun wollen wir diesen offenen Schwingkreis auch entsprechend erregen ;-) Achja, das Wetter heute war pippifein, ich habe sogar die kurze Hose aus dem Wäscheschrank geholt.

6. Tag, Freitag 11.8.2000 - Stau auf der via ferrata

Heute ist es soweit: Endlich eine große Tour! Das bewegt meine beiden Mitwanderer herzlich wenig und so haben wir die tägliche Herausforderung des Aufstehens erst um 0830 hinter uns gebracht. Nach diversen Verrichtungen, deren Aufzählung ich mir mangels Relevanz erspare, starten wir um 1210 (!!!) vom Passo di Giau (2236m) per pedes und steigen über die via ferrata de Ra Gusela auf den Nuvolaugipfel (2574m). Der Klettersteig selbst ist unspektakulär (das Anlegen der Ausrüstung, die man für diesen Steig eigentlich nicht brauchen würde, dauerte länger als der versicherte Durchstieg), die Ausblicke hingegen sind überwältigend!
Das Wetter ist heute wie aus dem Bilderbuch und die Spätaufsteher büßen beim Aufstieg in der Hitze für's lange Schlafen. Selber schuld. Der letzte Teil des Eisenweges, direkt unter dem Gipfelschutzhaus, bietet noch einen schönen Abschluss mit einer Leiter und überhaupt, habe ich schon erwähnt, dass der Ausblick einfach überwältigend ist? Auf der Hütte wird ein Bier zum Ausgleich des Mineralstoffverlustes gezischt, der nächste zu besteigende Gipfel erspäht ("bist du teppert, is der hoch") und dann geht's hinunter vom Rif. Nuvolau zum Rif. Averau, welchselbiges die Bergstation des Sesseliftes ist, der unaufhörlich Halbschuhtouristen ausspeit.


Ausstieg aus der via ferrata de Ra Gusela


Im Hintergrund Cortina d'Ampezzo


Die letzten Meter vorm Ausstieg


Blick auf den Averau vom Nuvolau

Bei einer kurzen Stärkung vor dem nächsten Gipfel, beobachten wir eine alte Schastrommel, die - offensichtlich in der Befürchtung der Sessellift könnte die Last nicht ins Tal befördern - ihre Abfälle hinter einem Stein versteckt. Darf das wahr sein? Ich schreie hinunter, aber der tepperte Trampel stellt sich taub, so werfe ich kurzerhand mit den biologischen Zwetschkernen, verfehle zu meinem Leidwesen aber das unwerte Geschöpf. Im Nachhinein frage ich mich, warum ich nicht einfach einen Stein geschmissen habe und dann schnell hintennach: "Achtung Stein" rufe. Leute gibt's, die gibt's nicht. Warum bleiben die Idioten nicht im eingezäunten Robinsonclub?

Fragen über Fragen, deren Beantwortung wir in Anbetracht des vor uns mächtig aufragenden Zieles, dem Averau, hintenanstellen, bis wir die Weltformel gefunden haben. Dauert wahrscheinlich nicht lange, inzwischen: Abmarsch zum Einstieg des Klettersteiges. Nach einer Viertelstunde Schnauferei (sind zwar nur wenig über 2000m, aber die Luft ist trotzdem schon merklich dünner) sind wir dort angelangt und holen erneut unser Klettergeschirr aus dem Rucksack. Bis wir endlich einsteigen können, vergehen fast 15 Minuten, es kommen in einem nicht enden wollenden Strom ständig wackere Bergsteiger den Steig herunter, unter ihnen eine Frau, deren Gesichtsfarbe stark an den Farbton des kalkigen Dolomitgesteins, das uns ja ständig umgibt, erinnert. Immerhin war sie nicht so grün wie das Seil, an dem sie ihr Kamerad sicher zum Ausstieg geleitete.
Das gibt uns Hoffnung und so steigen wir ein und sind für die nächste Viertelstunde mit Klettern beschäftigt. Da ist schon der Ausstieg, schade, viel zu kurz. Der Gipfel selbst ist nicht mehr weit und nach einer halben Stunde haben wir den höchsten Punkt (2649m) erreicht. Hier ist ja weit weniger los als am gegenüberliegenden Nuvolau, dürfte wohl am fehlenden Sessellift liegen. Mit gesunder Gesichtsfarbe (nix grün, nix weiß) erreichen wir wieder den Ausgangspunkt des Steiges und stapfen dann noch bis zum Pass Giau hinunter, wo unser Auto in praller Sonne geparkt ist.


Aufstieg zum Averau, Blick auf den Nuvorau


Im Klettersteig zum Averau


Blick vom Averau Gipfel auf den Passo di Giau


Der Averaugipfel, im Hintergrund die Marmolada


Abstieg: Blick auf auf den Averau


Letzter Blick zum Averau

Aber das Bier aus dem Kühlschrank war trotzdem schön kalt. Sechs Stunden waren wir unterwegs, das genügt, wir fahren zurück zum Campingplatz und genehmigen uns nach der Dusche eine Pizza.
Meine Augen brennen (die Gletscherbrille liegt ja daheim in der Lade, damit ihr nichts zustößt), ich werde mir noch ein Bier aus dem Kühlschrank nehmen (Mineralstoffverlustausgleich und so) und mich dann flach machen. 'Nacht.

7. Tag, Samstag 12.8.2000 - "Do is jetzt original genau nix lustig"

Der Tag mit der Wuchtel, war ja eh schon Zeit.

Wir schlafen wie die Murmeltiere und riskieren um 0900 den ersten vorsichtigen Blick. Beim Frühstück beschließen wir, bei der Heimfahrt einen Abstecher über Slowenien zu machen, dort zu übernachten und am nächsten Tag das Soèa Tal zu durchfahren. Dieses Vorhaben reifte in uns, als wir die Universum Dokumentation im ORF über dieses Tal gesehen hatten.
Wir bauen also alles ab und entsprechend der späten Tagwache fahren wir erst gegen 1200 zum letzten Mal in Richtung Valparola und genießen noch einmal den Ausblick zum Sellastock. Über Cortina d'Ampezzo, dem Passo Tre Croci, Lago Misurina, Lozzo di Cadore fahren wir über den Passo della Máuria nach Tolmezzo. Und weil's schon spät und der Hunger groß war, beschlossen wir, bei Ampezzo zu einem Flussbett hinunterzufahren, um dort unsere Mittagspause zu halten.

Das Hinunterfahren ins ausgetrocknete Flussbett war ja kein Problem, das Rückwärtsfahren im Schotter jedoch schon. Es begab sich, dass wir nach einigem Vor- und Zurückfahren irgendwie nicht mehr vom Fleck kamen, weil sich die Hinterräder immer tiefer im Schotter eingegraben haben. Leck Orsch. Aussa mit die Zwickeln (Heraus mit den Keilen). Zwickeln untergelegt, nix. Wir greifen zum stets mitgeführten Klappspaten (beim Bundesheer gelernt) und schaufeln die Antriebsräder aus. Gaaaaas - Es tut sich nix. Hmh. So ein Schas. Wir brauchen einen Traktor oder einen Lastwagen. Habe ich schon erwähnt, dass es 35 Grad hatte?
Ich marschiere hinauf zur Straße und warte auf einen Lkw. Eh klar, wennst einen brauchst, kommt keiner daher. Nach nur 10 endlos scheinenden Minuten sehe ich jenseits der Brücke, unter der unser Auto festsitzt, einen Traktor heranfahren. Laufschritt, Winken, "Sprechen Sie Deutsch?" (Mit Englisch habe ich es bei dem tapferen Landwirt gar nicht probiert). "No, no". "Na gut, ich, besser gesagt meine la machina hängt da unten (fuchtelnde Handbewegung in Richtung des Flussbettes) fest." "Sull le ponte?" "Si, si, ich brauche jemanden der mich (ziehende Handbewegung) da rauszieht". "Ah, capisco, va bene" "Haben Sie ein Seil (einem imaginären Seil entlangziehende Handbewegung)?" "Vado a préndere", "Ok, aspetto qua (unter die Brücke zeigende Handbewegung)", "Si". Na bumsti, die drei Semester Italienisch haben mir jetzt nicht so viel geholfen, wie die Fuchtelei. (posso parlare italiano solo un pocco!) Wurscht. Hauptsache, er arrive subito.
Ich laufe zum Auto zurück und zeige von der Brücke meinen beiden Mitkämpfern (Handbewegung: Daumen nach oben), dass ich alles im Griff habe. Nach wenigen Minuten kommt unser neuer Freund, der Traktorfahrer, mit einem Seil, und so wie er vor der Zufahrtstraße umdreht um im Retourgang zu der Stelle, die mir sicher länger in Erinnerung bleiben wird, zu fahren, nehmen wir an, wir sind nicht die ersten Glücklichen, die er aus dieser mißlichen Lage befreit. Egal, jetzt Seil an die Anhängerkupplung gehängt und die Kraft des Traktors entfaltet sich, um unser Auto mit Leichtigkeit aus dem Flussbett auf die Straße zu ziehen. Pffff, geschafft. Die Traktorfahrer sind mir auf einmal so sympatisch! Ich bedanke mich beim Traktoristen mit 50.000 Lire und einem eisgekühlten (ja, außen mit Kondenswasser beschlagenem) 16er Blech. Er schnappt das Bier und lehnt den Geldschein ab. Ich versuche noch ihm kleinere Scheine aufzunötigen aber seine Gesten zeigen mir, dass er wirklich kein Geld nehmen mag. "Una altra birra?". "No, no". "Ok, mille grazie, ciao". "ciao". Es ist überstanden. Warum schlägt er plötzlich mit einem Schraubenschlüssel eine Kerbe in seinen Traktor? Wahrscheinlich waren wir ca. die fünfzigsten, die er da rausgezogen hat. Ich liebe alle Traktorfahrer dieser Erde.

Nach diesem spektakulären Höhepunkt der Saison, geht es unspektakulär weiter nach Tolmezzo, ins Kanaltal bis Raccolana und von dort wieder mächtig spektakulär ins Val di Raccolana zum Sella Nevea (1190m). Dieses Tal mit dem Fluss und den zahlreichen Wasserfällen ist ja superkitschig. So stellen wir uns auch die Soèa vor. Wir klettern bei einer Flussbiegung zu einem tosenden Wasserfall ab und ich teste die Temperatur. Frisch is. Auch die Straße hinauf zum Sattel ist wunderschön und wird sofort für eine allfällige Motorradtour vermerkt. Vom Sella Nevea geht's weiter zum Lago di Predil und am Passo di Predil (1156m) überschreiten wir ohne besondere Vorkommnisse die Grenze nach Slowenien. Kurz nach dem Grenzübergang bietet sich uns ein toller Ausblick auf den Triglav (2864m) und wir wissen: Der wird früher oder später von uns bestiegen werden.


Im val di raccolana


Blick auf den Triglav

Entlang des Flusses Koritnica fahren wir hinunter nach Bovec, wo wir direkt an der Soèa einen Campingplatz beziehen und noch schnell zum Fluss hinuntergehen, um ein paar Fotos zu machen. Für morgen planen wir ein wenig früher aufzustehen (na mal sehen) und dann zum Ursprung der Soèa (oder Isonzo, wie die Italiener sagen) zu wandern. Der Traktorfahrer hat meine heutige Bierration geschmälert, aber ich denke, es war eine gute Investition. Ohne "Landstrom" nuckle ich beim ultima birra die Fotos aus der Kamera (schon wieder 33 Bilder) und der Akku des ThinkPad's reicht sogar noch für diese Zeilen. Heute werde ich sicher von Traktoren träumen. Tolle Fahrzeuge, eigentlich.

8. Tag, Sonntag 13.8.2000 - "Soèa! Triglavnationalpark"

Da niemand mit mir funken wollte, haben wir auch keine Antenne abzubauen, daher geht das Abfahren heute recht früh von statten. Naja, ein bissi gefunkt habe ich schon, wollte ich doch unbedingt einmal als S5/OE3ARC in der Luft sein. So meldete ich mich während des Frühstücks kurz am 2m-Band in ein qso von OE8er Stationen am Dobratschumsetzer. Mach Dir nicht's draus, wenn Du jetzt nicht verstanden hast, was ich zum Ausdruck bringen wollte, Nichtamateurfunker sind auch Menschen.

So fuhren wir also die Straße neben dem Fluss entlang und hielten unzählige Male, um Fotos zu machen. Es ist dort einfach unbeschreiblich schön und so wurde pausenlaus auf den Auslöser gedrückt. Brücke hier, Fluss da, und so fort und so fort.

Bei der Abzweigung zur Soèa-Quelle parkten wir bei dem dort gut frequentierten Gasthaus und machten uns zu Fuss auf den mit 15min. angegebenen Weg zum Ursprung. Das letzte Drittel war mit Seilen und Trittstiften versichtert! Somit schon fast ein Klettersteig. War natürlich für die tschechische Reisegruppe mit Halbschuhen und Sandalen eine mächtige Herausforderung. Klarerweise hat's auch eine Touristin aufgeprackt und selbstverständlich unmittelbar vor mir, wodurch mir sofort die Ehre zu Teil wurde, das aus der Platzwunde auf der Stirn fließende Blut zu stillen und die im wahrsten Sinn des Wortes schwer angeschlagene "Bergkameradin" mit dem Wanderstock des in diesem Gelände ebenfalls schwer überforderten Italieners (posso parlare italiano solo un pocco) zu Tale zu geleiten. Das es sich nicht um eine knackige 18-Jährige handelte, ist ja eh klar. Maledetto.


Auf dem Weg zur Soèa-Quelle


Der Wasseraustritt aus dem Fels


Die kristallklare Quelle in der Höhle

Von der Quelle fuhren wir auf den Vr¹iè Pass (1611m), der im Zentrum des Triglav Nationalparks liegt und im Übrigen 48 Kehren für Motorradfahrer bietet. Grauslich.


Vr¹iè Pass

Hinunter nach Kranjska Gora und dann durch den Karawankentunnel nach Villach, eine Kleinigkeit. Weiter über die nach 30 Jahren nun doch schon durchgehende (meist allerdings einspurige, weil kilometerlange Gegenverkehrsbereiche) Südautobahn bis Wien. Ein kleines Reifenplatzerl noch, aber diesmal nicht bei uns, sondern bei einem uns gerade überholenden Salzburger wo ich mir noch denke: Der hat aber wenig Luft im rechten Hinterreifen, den hupst jetzt an und hältst ihn auf, damit er sich das anschaut. Eine Sekunde später habe ich gehupt, zwei Sekunden später sind schon die Fetzen geflogen und ich habe zwischen den Reifenfetzen und der Zierkappe des Mazdas durchgebremst, um hinter ihm am Pannenstreifen anzuhalten. "Orsch, gö?. Host eh an Rafn'?" "Jo, irgendwo do untern Urlaubsgepäck". "Blede G'schicht, na guat, i foa daun, seawas, vü Spaß". Ich kenne mich ja mit Reifenplatzern schon aus ...

Um 17.15 kommen wir bei Regen daheim an und, das Wichtigste, der Diesel, ist uns diesmal nicht ausgegangen, so wie 1999.

Insgesamt 1701 km und eine tolle Urlaubswoche.

Schlussbemerkung:

Da wir schon einige Male in dieser wunderschönen Gegend waren (Gardasee 1997, Südtirol 1997, Südtirol Pfingsten 1999), konzentrierten wir uns diesmal vorwiegend auf's Bergsteigen und ließen den Diesel im Tank. Die Touren wurden so gewählt, dass alle Ausgangspunkte im Umkreis einer Autostunde (ok, einer Campingbusbergaufstunde) lagen. So ergaben sich gewisse Fixpunkte, die wir immer wieder von verschiedenen Perspektiven sehen konnten. U.a. die Sellagruppe, Marmolada, Cirspitzen, Cortina d'Ampezzo, usw. Die Pässe an der Dolomitenstraße haben wir von überall gesehen und von überall befahren. Normalerweise entspricht es nicht unserem Naturell, ein Land oder Gebiet so oft zu bereisen, das Leben ist grundsätzlich zu kurz dafür, aber die Südtiroler Bergwelt hat uns vom ersten Augenblick an in ihren Bann gezogen und so kamen wir nun zum zweiten Mal zum Bergsteigen, nachdem wir im September 1997 am Dolomitgestein Blut geleckt hatten. Für uns als Bergfreunde war es eine wunderschöne Woche und die Bergfahrten sind einfach unerreicht schön, so wie die Menge an hier begehbaren Touren im Augenblick noch unendlich erscheint.

Berg Heil

Andy, Andrea & Christian


This page was last updated on: 14.11.2011